«Jeder sollte bei sich selbst anfangen» – Aber wie geht das eigentlich?
Sich mit sich selbst anfreunden und «Zufälle» lesen lernen
«Es scheint wirklich den Menschen nur eine Hoffnung zu geben: Zwar nicht die Welt und die anderen, aber wenigstens sich selbst einigermaßen ändern und bessern zu können; und auf denen, die das tun, beruht im geheimen das Heil der Welt.»
– Hermann Hesse
Diese und ähnliche Aussagen hören und lesen wir häufig, auch ich schreibe und spreche immer wieder davon, dass sich nur wirklich etwas ändern kann, wenn wir uns selbst ändern. Das sind große Worte, aber wie geht das eigentlich? Womit kann ich anfangen und wie kann ich versuchen, Antworten auf Fragen über Themen wie Schicksal und Seelenpläne zu finden?
Der Beobachter
Was weißt du eigentlich über dich und dein Innenleben? Welche Gedanken hast du gerade gedacht? Denkst du selbst oder wirst du gedacht? Wie reagierst du auf Reize von außen, wie zum Beispiel auf das Lesen dieses Textes oder wenn du bei etwas gestört wirst? Wie fühlt es sich an, wenn du kritisiert wirst oder wenn jemand dir eine Parklücke vor der Nase wegschnappt? Wie fühlt sich dein Körper an, wenn du ein Kompliment bekommst, du zur Chipstüte greifst oder einen spannenden Film siehst? Wie gehst du mit dir um, wenn du etwas «falsch» machst? Wie oft bewertest du generell dich oder die Menschen in deiner Nähe? Welche Anteile und Eigenschaften an dir liebst du mehr als andere, welche Glaubenssätze beflügeln und welche beschweren dich und auf welcher Grundlage triffst du Entscheidungen?
Im Laufe meines Lebens habe ich schon viel an mir «herumgedoktort», ständig mein Verhalten, meine Gefühle und Gedanken analysiert, um Auswege aus meinem Chaos zu finden, und es wäre mir bei den obigen Fragen vielleicht schon vor Jahren als erstes die Antwort gekommen: «Ja, selbstverständlich kenne ich mich irgendwie. Auf jeden Fall sehe ich schon hin und eine Liste mit den Eigenschaften, die ich an mir nicht mag, habe ich auch. Eine sehr lange sogar..» Ebenfalls meinte ich zu wissen, wie ich denn eigentlich sein sollte und vielleicht sogar, wie «man» sein sollte, was mich aber nicht wirklich weiter brachte.
Was bei mir persönlich aber einen großen, wenn nicht den Unterschied bewirkt hat, war das neutrale Beobachten und Akzeptieren. Das bewusste Installieren eines Anteils, der sich traute, in immer mehr Situationen wirklich hinzusehen und zwar ohne Kritik oder jeglicher Wertung und vor allem auch alles zu fühlen. Der innere Kritiker beobachtet zwar auch unglaublich viel, aber aus einer ganz anderen Perspektive und vor allem aus einem anderen Motiv heraus, da er mich ändern und bestrafen zum einen, zum anderen mich vor noch größerem Schmerz bewahren möchte.
Das Erlernen des reinen Beobachtens war und ist für mich der Grundbaustein, die Basis für alles Weitere geworden und wir müssen dazu nicht einmal Zeit investieren, obwohl es natürlich nicht schadet, sich bewusst die Zeit zu nehmen, alles andere einmal auszuschalten und sein zu lassen und auch zu schauen, wie wir darauf reagieren: auf die Stille. Aber es geht letztlich darum, zu beginnen, das, was wir eh machen, sagen, denken und fühlen bewusst zu beobachten und bewusst zu tun.
Das braucht sicherlich einiges an Übung, denn zumindest in mir gab es – und gibt es noch – immer wieder Situationen und Anteile, die gar nicht gerne beobachtet werden wollen, die, hinter denen zum Beispiel Schuld- und Schamgefühle stehen. Das sind Momente, in denen wir uns gerne aus dem Körper «verabschieden», in denen wir regelrecht vor uns selbst und den Gefühlen fliehen wollen. Aber je länger das Beobachten und Wahrnehmen trainiert wird und je mehr Vertrauen diese Anteile ihm beziehungsweise uns gegenüber aufbauen, eben indem sie einfach sein dürfen, wir sie nicht «weghaben» wollen, ändern oder kritisieren, desto tiefer lassen sie uns in uns selbst eintauchen.
«Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.»
– Viktor Frankl
Anker
In diesem Raum können wir wahrnehmen, was in uns wie reagieren möchte und lernen, die Reaktion bewusst zu gestalten und aus dem Autopiloten herauszukommen.
Gerade zu Beginn verliert man diesen Raum immer wieder oder man vergisst, dass man ihn oder sich selbst suchen wollte. Da hilft es, sich Anker zu setzen. Zum einen Anker, die uns daran erinnern, achtsam zu sein, zum Beispiel, wenn ich jemand bin, der sich gerne selbst kritisiert, kann diese Situation als Anker dienen. «Ach, ich merke gerade wieder, dass ich in dieser Spirale bin! Wie gut! Ab jetzt schaue ich wieder hin, danke Kritiker!». Diese Anker, die dazu dienen, uns selbst daran zu erinnern, wieder hinzufühlen, sind immer eine Freude wert, sie deuten auf kein Versagen hin, was der Kritiker gern mal versucht, als dieses auszulegen. Aber ab dem Moment sind wir ja wieder «da» und können auch ihn wieder neutral oder sogar liebevoll beobachten.
Ebenso kann man bewusst üben, sich im Körper zu verankern, um den Fokus immer wieder aus den Gedanken oder der Umgebung hin zum Gefühl zu lenken, sodass man mit der Zeit immer stabiler und auch müheloser den Kontakt halten kann. Mir hilft es, wenn ich mit dem Bewusstsein einen oder mehrere Punkte in meinem Körper adressiere, zum Beispiel in der Brust oder dem Bauch, manchmal auch zusätzlich in den Füßen und versuche, diese Verbindung aufrechtzuerhalten. Das kann ich praktisch immer tun, beim Spazierengehen, Fernsehen, Lesen, Schreiben, Einkaufen, Autofahren oder in Gesprächen mit anderen. Gerade Hochsensiblen fällt es schwer, in Gegenwart anderer bei sich und ihren Gefühlen und Bedürfnissen zu bleiben, daher kann es sehr hilfreich sein, es zunächst in Situation, in denen man allein ist, zu üben und sich dann nach und nach zu steigern.
Die Anker, die dich erinnern, wieder bewusst zu werden, können ganz individuell sein. Vielleicht eine bestimmte Uhrzeit oder Tätigkeit, ein bestimmter Gedanke, ein bestimmtes Gefühl oder ein Wecker, den du dir stellst. Vielleicht stellst du auch eines Tages fest, dass sich von selbst kleine Anker etablieren, wie bei mir beispielsweise die Eselsbrücke mit dem Kritiker.
Falls die Menge an dem, was es zu beobachten gibt, zu viel ist, denn manchmal kann sie das sein, obwohl wir zugleich manchmal auch annehmen, da sei «nichts» in uns, so kann es helfen, sich auf bestimmte Empfindungen und innere Geschehen zu konzentrieren und mit ihnen in Kontakt zu gehen. Hier kannst du einmal ausprobieren, dir drei oder fünf Minuten Zeit für dich ohne Ablenkung zu nehmen und schauen, was passiert. Vielleicht sagen die Gedanken uns Dinge wie: «Ich halte das nicht aus». Daraufhin können wir fragen, was sie meinen, nicht aushalten zu können, oder wir können erkunden, wie sich dieses Nicht-aushalten im Körper anfühlt. Wir können lernen, die Fluchtimpulse wahrzunehmen, zum Beispiel das Bedürfnis, die Stille zu durchbrechen und zum Handy oder der Kühlschranktür zu greifen, und wohlwollend und interessiert zu beobachten, was in diesem Raum zwischen Reiz und Umsetzung passiert. Also wie fühlt sich der Reiz an, wo spüre ich ihn körperlich und was passiert, wenn ich versuche, anders oder gar nicht zu reagieren, und auch was passiert, wenn ich dem Impuls nachgebe. Wie fühlt sich das an und mischt sich wieder ein Kritiker, eine Bewertung, ein ungeduldiger Anteil ein oder kann ich den wohlwollenden Raum halten? All das kann ich lernen, wertfrei zu beobachten.
Kontaktaufnahme
Aus dem Beobachter heraus können wir auch weiter Kontakt aufnehmen, wir können, wie beschrieben, Gedanken hinterfragen, die wir vielleicht bisher als gegeben angesehen haben. Wenn es in mir denkt: «Ich schaffe das nicht», frage ich gerne liebevoll: «Glaubst du das wirklich? Was, wenn wir das doch schaffen?» oder ich kann auch darauf eingehen, was denn (so schlimm daran) wäre, wenn ich es wirklich nicht schaffen würde. Und darüber hinaus habe ich gelernt, mich regelmäßig zu fragen, wie es mir geht. Wie es mir wirklich geht. Wovor habe ich Angst, was macht mich traurig oder wütend. Hier kann man direkt Gefühle und Anteile adressieren, die sich eventuell sonst auch gerne verstecken, aber je besser ich mich kennenlerne, desto mehr kann ich mich auch wirklich um mich kümmern. Und da konzentriere ich mich gleichermaßen auf den Körper, auf die Emotionen und kleinen und großen Gefühlsregungen sowie auf die Antwort der Gedanken.
Die Frage nach meinem eigenen Befinden stelle ich darüber hinaus auch gerne mal laut und antworte auch laut darauf. Das ausgesprochene Wort kann weniger schnell die Frage als Floskel dastehen lassen und sich der eigentlich wahrhaftigen Antwort entziehen und mich selbst anlügen funktioniert so auch kaum mehr. Mir selbst laut zu sagen, wie es mir geht, hat wahrlich Türen geöffnet. Nirgends sonst konnte ich einen Raum finden, so pur und ehrlich zu sprechen, wie mit mir oder dem Universum, ich zeige mich mir selbst mit all meiner Scham, meinem Egoismus, meinem Sein. Das sind Räume, die ich zuvor stets vermieden habe zu betreten, weil mein Denken sehr von richtig und falsch geprägt war, vor allem auch bezüglich dessen, wie ich sein und was ich fühlen sollte.
Wenn du magst, probiere es gerne mal aus. Es ist dabei ganz dir überlassen, ob du zum Universum, zu Gott, zu deinem Haustier sprichst oder mit dir im Selbstgespräch sein magst. Vielleicht ist Schreiben für dich auch eine Möglichkeit, dir zu begegnen.
Ein Freund sein
Das Beobachten deines Innenlebens zeigt dir den Status quo, du traust dich, dir einen Überblick zu verschaffen, wie du mit dir und der Welt umgehst und dies ist, ich mag es noch mal sagen, völlig wertfrei und es geht darum, dir deiner eigenen Beziehung zu dir und zum Leben bewusst zu werden. Es ist ein erster Schritt, dir selbst ein guter Freund zu werden. Wenn dir vielleicht, wie mir, irgendwann auffällt, dass du eventuell die meiste Zeit über gar nicht wirklich nett von dir selbst denkst oder mit dir selbst sprichst (oder vielleicht auch über andere) und darüber hinaus auch fühlst, wie sich das anfühlt, was es mit dir macht, weil du lernst, im Kontakt mit deinem Gefühl zu bleiben, so zeigt sich wahrscheinlich immer mehr das Bedürfnis, freundlich mit dir und anderen umzugehen. Und auch hier ist es sehr effektiv, die neuen Gedanken, die wir etablieren möchten, laut auszusprechen.
Wenn sich Mitgefühl dir selbst gegenüber einstellt, kannst du mal versuchen, dir laut zu sagen, was du dir für dich wünscht oder dass du stolz auf dich bist, dass du dich selbst lieb hast oder es zumindest so gut du kannst versuchst, dass du an dich glaubst, dass du dich nicht wieder allein lassen wirst, dass du jetzt da bist und auf dich acht gibst. Dass du wertvoll bist und liebenswert, dass du nicht allein bist. Wenn du magst, kannst du mal versuchen, dir morgens einen Guten Morgen und einen schönen Tag zu wünschen und abends eine Gute Nacht.
Du kannst dir vorstellen, wie du bei den Situationen und inneren Gesprächen, die du in dir beobachtest, reagieren würdest, wäre es dein Freund oder deine Freundin. Wenn mir zum Beispiel ein Missgeschick passiert, reagierte ich häufig, wenn ich mit mir allein bin, ganz anders, als wenn ein lieber Freund dabei ist oder noch mal anders, wenn es ihm passieren würde. Sich also vorzustellen, ich sei mein bester Freund kann wahrlich die Augen öffnen, denn diese Anteile sind ja in uns; die anderen Reaktionen, der kleine Scherz, die lustige Schlagfertigkeit, die Leichtigkeit, es ist ja alles da.
Möglicherweise hast du auch zunächst das Gefühl, dass du gar nicht wirklich viel wahrnimmst in dir, dass da zu viel Angst ist, um mit dir und deinen Emotionen in Kontakt zu kommen. Das kann sein, es mag sich so anfühlen. Auch ich hatte mich über die meiste Zeit meines Lebens so weit von mir entfernt und derart viele Mauern und Schutzbarrikaden errichtet, dass ich letztlich zu Beginn meiner Reise einige Zeit damit verbrachte, mit einer nicht wirklich greifbaren Anspannung zu «sein», bevor sich feinere Gefühle, Stimmungen und Reaktionen zeigten. Dass da aber «kein Kontakt ist» oder «ich da nicht rankomme», sind auch «nur» Gedanken und sogar Teil der Schutzmechanismen. Sollte es dir so gehen, darfst du einfach genau das wahrnehmen, was da ist. Es ist immer etwas da. Die Anspannung zum Beispiel. Der Gedanke, der sagt, es ginge nicht. Wie fühlt sich die Anspannung an, wo fühlst du sie? Unter der Haut? Im Nacken? In den Beinen? Verändert sie sich, wenn du sie beobachtest?
In Kontakt mit den eigenen Mauern zu kommen ist hier der allererste Schritt. Du kannst nichts falsch machen, genau darum geht es: wahrzunehmen, dass da etwas in mir keinen Kontakt möchte oder nicht weiß, wie es geht, sich davor fürchtet und in dem Moment, in dem du das wahrnimmst, bist du im Kontakt und du kannst versuchen, diese Mauer zu erkunden, dich in sie rein zu entspannen, sie zu erlauben, weich mit ihr zu werden und mitfühlend diese Schutzschicht anzuerkennen. Sie ist nicht ohne Grund da. Möglicherweise zeigen sich noch die Ungeduld oder ein Anteil, der aufgeben will. All das ist Kontakt, wichtiger Kontakt.
Die Grundlage für heilsame Kommunikation ist also für mich der neutrale oder auch liebevolle Beobachter. Er akzeptiert, was da ist und gibt ihm somit die Möglichkeit, sich zu transformieren und uns wiederum die Möglichkeit bewusst zu gestalten und zu entscheiden. Und was bei all dem nicht fehlen darf – wie in jeder guten Freundschaft – ist der Humor. Wenn der Kritiker wieder einmal um die Ecke kommt, kann man ihn auch einfach mal freudig mit einem «Hey alter Kumpel, was hab ich dieses Mal falsch gemacht?» begrüßen, anstatt sich zu ärgern, dass man ja noch gar nicht weitergekommen sei oder Angst vor den nächsten Stunden samt Gedanken und Gefühlen zu haben. Und oft nimmt ihm dies bereits allen Wind aus den Segeln.
«Nun, aller höhere Humor fängt damit an, dass man die eigene Person nicht mehr ernst nimmt.»
–Hermann Hesse
Was hat das Universum sich eigentlich dabei gedacht?
Einen weiteren wichtigen Aspekt bei sich selbst anzufangen, sehe ich in den großen Fragen, die wir uns selbst oder anderen über die Mysterien und Zusammenhänge über das Universum oder die Seele und deren Absichten stellen.
Vielleicht kennt ihr es: Man traut sich ein wenig damit raus, dass man anfängt, daran zu glauben, dass es keine Zufälle gibt, dass es einen Seelenplan und -Verträge sowie ein allumfassendes, liebendes Bewusstsein gibt, dem wir entstammen und das alles zusammenhält und sogleich kommt jemand und fragt, vielleicht sogar höchst skeptisch bis mitunter leicht gereizt oder vorwurfsvoll: «Aber dann erklär mir doch bitte, warum es Kriege gibt, warum es so viel Leid gibt, warum gerade Kindern schreckliche Dinge passieren! Was hat sich die Seele denn dabei gedacht?!»
Oder du bist vielleicht selbst auf der Suche nach derlei Antworten auf deinem Weg und versuchst Lösungen für die Fragen der Fragen zu finden.
Ehrlich, ich weiß die Antwort nicht und ich bin mir nicht sicher, ob ich sie eines Tages wissen werde oder ob ich es überhaupt muss. Ein paar Ideen habe ich, auch durch Erklärungen – oder deren Versuche, beziehungsweise meine Versuche sie zu verstehen – von gechannelten Entitäten oder weisen Spirituellen. Ob das, was sie sagen, stimmt, kann ich nicht beurteilen, daher bleibt mir nur, dass ich es nicht weiß. Was ich aber bekommen habe, sind Ideen, sind Perspektiven.
Insgesamt erkenne ich aber für mich, dass es wenig Sinn ergibt, im Garten anderer zu gärtnern. Wie kann ich von außen, häufig ja sogar stilisierte oder theoretische Schicksale betrachten, einordnen und bewerten? Das ist im Übrigen etwas, was mir generell sehr häufig auffällt, dass wir gerne über andere sprechen und mit fremden Lebensumständen argumentieren, bis dahin, ob die Welt gut oder schlecht sei, rettenswert oder verachtenswert. Was aber all das sind, das ist wichtig, es sind Perspektiven. Ich kann die Perspektive, dass alles sinnfrei, grausam und belanglos ist einnehmen, oder ich kann einen Sinn suchen und vielleicht ja sogar auch finden. Mit unserem Blick entscheidet sich, ob die Welt im Begriff ist, unterzugehen oder neu zu erwachen.
Bei diesem Thema, warum etwas wie ist und was sich etwas Höheres dabei gedacht haben möge, kann ich auch nur antworten oder vorschlagen, zunächst einmal zu üben bei sich selbst hinzuschauen: «Was hat sich meine Seele dabei gedacht, dass..?» oder liebend gerne auch den Schritt weiter: «Was habe ich mir dabei gedacht? Was wollten meine Seele und ich an dieser Stelle lernen?».
«Deine Vision wird erst dann klarer, wenn du in dein eigenes Herz schauen kannst. Wer nach außen schaut, träumt; wer nach innen schaut, wacht auf.»
– C.G. Jung
Nicht selten erleben wir es, dass eine scheinbare Tragödie im Nachhinein irgendwie Sinn ergibt. Manchmal erst Jahre später erkennen wir, dass das Leben uns in bestimmten Situationen einen Kurswechsel abverlangte und wir nur genau dadurch später das Glück fanden, auf das wir sonst niemals gestoßen wären. Dann schließt sich ein Kreis und wir sind dankbar für diese Zufälle. Ich glaube, eine gute Übung ist, dieses spätere Erkennen in den jetzigen Moment mit einzubauen, egal, wie düster er sein mag und wie fern die Antwort zu sein scheint, dass auch dieses Unheil etwas Gutes birgt. Die eigene Sicht also heben von dem Gefühl oder dem Gedanken, dass dies das Ende sei, dahin, dass man gespannt darauf ist, wie dieses Abenteuer weiter geht und was sich noch Wertvolles darin für uns verbirgt.
Die Schätze zu finden kann aber nur gelingen, wenn ich bei mir selbst hinschaue, mich traue die Sichtweise – vielleicht ja auch zunächst aus reinem Interesse und aus Neugierde heraus – versuche einzunehmen, dass das Universum mir nichts Schlechtes will. Und auch hier kann es helfen, sich einmal selbst zu fragen, also nicht darüber zu grübeln, sondern konkret die Frage an das eigene Innere zu richten: «Was lerne ich aus dieser Situation?» und zu schauen, was dir gezeigt wird, allein schon dadurch, dass wir diesen Raum öffnen, der eine wohlwollende Antwort für möglich hält.
Je mehr wir lernen, das Leben und vor allem auch unseren Schmerz aus Perspektiven des Wohlwollens zu betrachten und zu erfahren, dass es weitaus weniger Zufälle und Willkürlichkeit gibt, als wir vielleicht annahmen, desto mehr können wir darauf vertrauen lernen, dass das Universum nicht schlecht oder böse oder willkürlich ist. Weiters können wir vorsichtig darauf schließen, dass es sich nicht nur bei einem selbst so verhält, sondern auch in einer größeren Dimension, auch wenn wir es nicht sehen oder verstehen können – oder noch nicht. Den Weg aber andersrum zu gehen, erst alles verstehen zu wollen und dann vielleicht mal bei sich selbst vorbeizuschauen, empfinde ich eher als weniger zielführend.
Wenn du also magst, setz dich vielleicht mal mit dir hin und lasse deinen Blick über dein Leben schweifen, erkunde die Momente, denen gegenüber du noch immer Widerstand empfindest und versuche ganz bewusst eine liebevolle Erklärung zu finden. Ich bin mir fast sicher, dass es eine gibt. Vielleicht ist sie aber auch erst in einiger Zeit erkennbar. Dann schau vielleicht mal, ob du Situationen erinnerst, die im Nachhinein Sinn ergaben und erinnere dich, wie du dich vorher fühltest, als du das fehlende Puzzlestück noch nicht hattest und wie viel Entspannung entstand, als du es an seinen Platz bringen konntest. Diese Entspannung wünsche ich dir mitzunehmen und festzuhalten, bis du auch für die unklare Situation eine Erklärung findest und der Beobachter kann dir im Hier und Jetzt dabei helfen, immer mehr Synchronizitäten zu entdecken.
Alternativ kannst du dich, wenn du magst, auch einfach einmal mit dem Gedanken, dass das Leben für und nicht gegen dich ist, hinsetzen und rein fühlen, was diese Annahme mit dir macht. Ist das Gefühl weit und freudig, eher warm und öffnend, oder spürst du eine Abwehr, eine Enge oder sogar einen Schmerz? Aus diesem Erleben heraus kannst du dich weiter vortasten und erkunden, woran etwas tief in dir glaubt und somit deine Erfahrungen beeinflusst. Auf diese Art gestaltet sich der weitere Heilungsprozess; indem aus dem Beobachten ein Forschen wird. Und die Wegweiser sind unsere Empfindungen.
«Bis Sie das Unbewusste bewusst machen, wird es Ihr Leben lenken und Sie werden es Schicksal nennen.»
– Carl Gustav Jung
Mein Kritiker sagt, ich müsse lernen, mich kürzer zu fassen. Ja, lieber Kritiker, das werden wir schon noch lernen ;-), also erst einmal bis hierhin.
Insgesamt wünsche ich dir und euch viel Freude beim Anfangen und ich hoffe, ich konnte mit dieser kleinen Auswahl an Möglichkeiten ein paar Impulse schaffen, die den Einstieg oder auch das Weitergehen in und auf deinem Weg erleichtert. Denn das wirklich Schwierige am Anfang ist das Anfangen. Und das geht immer nur jetzt. Wie fühlst du dich gerade?
Alles Liebe,
Anna
Apropos bei sich selbst anfangen: Es geht immer ein kleines bisschen mehr :)
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Ist mir nicht zu lang 😝
Passt wunderbar und ergibt einen warmen angenehmen Nachhall. Danke.
Ich danke dir sehr liebe Anna. So schön beschrieben und so schön verdichtet. Dieser Text hat mich tief berührt.