«Die Schneegans braucht nicht zu baden, um weiß zu werden. Auch du musst nichts tun, außer du selbst zu sein.» – Laotse
Eine liebe Freundin fragte mich vor Kurzem, ob ich nicht ein mal etwas zum Thema Integrität verfassen möchte. So denn, ich versuche es. Die Sache mit der Integrität ist nämlich auf den ersten Blick recht einfach: Sei, wie du bist. Auf den zweiten Blick stellt sich bei den meisten allerdings die Frage: Wer oder wie bin ich denn? Oder auch: Bin ich das nicht sowieso? Eigentlich ja. Uneigentlich beziehungsweise in der Praxis oft: nein.
Aber lasst uns einmal der Reihe nach vorgehen. Integrität bedeutet, «unsere innere Realität ehrlich zum Ausdruck» zu bringen. So erklärt es die weise Frau in Dan Millman’s Die universellen Lebensgesetze des friedvollen Kriegers dem Wanderer. Unsere innere Realität ehrlich zum Ausdruck zu bringen, kann einen jedoch zunächst verwirren, denn wir haben vieles in unserem Inneren: Triebe, Verletzungen, niedere Absichten als Beispiel, die wir natürlich nicht ungefiltert in die Welt bringen wollen. Daher ist es wichtig, sich der Moral und Tugenden – oder besser gesagt: unseres Herzens – zu bedienen, wenn uns unsere Triebe in die Quere kommen. Die weise Frau erläutert:
«Ich bin weder für kritiklose Anpassung noch für blinde Rebellion. Du sollst nur offenen Auges durch die Welt gehen und mehr auf die Weisheit deines Herzens hören als den zufälligen Wünschen und Trieben in deinem Inneren nachzugeben oder sie gewaltsam zu unterdrücken.»
Auch hier kann es sein, dass bei einigen Fragen auftauchen. Wie können wir unsere höchste Version nach außen hin leben, ohne aber unsere teils verwirrenden Emotionen und Triebe, die entgegen unserer Herzensweisheit wirken, zu unterdrücken?
Die weise Frau erklärt:
«Die Weisen aller Zeitalter […] von Plato bis Shakespeare, ermahnen uns: ‹Erkenne dich selbst› und ‹Sei deinem eigenen Ich treu›. Integrität bedeutet, integriert zu sein, sich selbst zu kennen und sich selbst zu sein, damit alle Handlungen echt sind und höchsten Absichten entsprechen. Dein Körper, dein Geist, deine Gefühle und deine Lebenseinstellung sollen einander ergänzen und ein Ganzes bilden, das größer ist als die Summe seiner Teile.»
Es habe keinen Sinn von Integrität zu sprechen, wenn wir unsere innersten Wünsche und Triebe nicht kennen. Voraussetzung für integres Verhalten ist also die Reise ins Innere und die liebende Annahme dessen, was wir dort finden. Es bedeutet, jegliche Bilder und Vorstellungen von uns, wie wir gerne wären, loszulassen und all unsere Anteile und Facetten zu integrieren.
Integer zu sein heißt, mit seinem gesamten Wesen die eigene reine Wahrheit zu repräsentieren. Es bedeutet nicht, eine perfekte Fassade aufzubauen oder frei von Fehlern und Schwächen zu sein. Sondern viel mehr, alles, was sich uns zeigt anzunehmen, durch die Weisheit des Herzens zu filtern und dann zu entscheiden, wie wir handeln. Die Liebe oder unser Herz sind dabei stets unsere Ratgeber, sowohl beim Blick nach Innen als auch bei jeder Handlung im Außen. Um das zu erreichen, geht es nicht zuletzt darum, sich von der Angst vor der Beurteilung der anderen zu lösen und unseren eigenen Wert zu erkennen.
Verantwortung
Ein Gegen-Beispiel für Integrität finden wir geläufig in der Politik. Selbstverständlich wird hier viel manipuliert, genau bedacht, wem was, wie mitgeteilt wird. Auch in der Gesellschaft zeigten sich gerade in den letzten vier Jahren Unmengen an Beispielen, wie es aussieht, nicht integriert zu sein: Die fast allgegenwärtigen Anzeichen starker kognitiver Dissonanz waren kaum zu übersehen.
Doch auch im eigenen Leben und Erleben verhalten wir uns häufig abhängig vom Außen. Der einen Freundin erzählen wir eine bestimmte Geschichte, hoffen oder bitten aber, dies so doch nicht weiterzuerzählen, weil man jemanden im Sinn hat, der dies oder jenes besser nicht erfahren sollte. Unser Chef darf nicht wissen, dass wir auf einer bestimmten Demo waren oder die Familie sollte bitte nicht erfahren, welche Partei wir gewählt haben. Er oder sie könnte(n) uns dafür ablehnen oder es gäbe möglicherweise anderweitige Konsequenzen. Das heißt, wir spielen selbst oft mit unserer Ehrlichkeit und limitieren sie je nachdem, wem wir gerade gegenüber sitzen.
Integrität würde bedeuten, dass wir das, was wir von uns zeigen, auch jedem zeigen, weil wir zu 100 Prozent zu uns, zu unseren Worten und Taten stehen. Wir tarieren und berechnen nicht mehr, wir verzichten auf jegliche Form der Manipulation und sind, wer und wie wir sind. Folglich übernehmen wir auch jede Verantwortung für unser Handeln sowie dessen Konsequenzen und verabschieden uns vom So-tun-als-ob.
Es geht nicht darum, sich schön zu reden oder zu träumen, auch nicht darum, sich nur schön zu verhalten, sondern schön zu sein. Das sind wir, entgegen all der inneren Zweifel, auf denen die Versteckspielerei beruht, tatsächlich ganz von selbst, wenn wir sind, wer wir wirklich sind.
Dabei hängt die höchste oder beste Version seiner Selbst zu werden unmittelbar mit den eigenen Absichten zusammen. Ein Beispiel wäre folgendes:
Du hilfst jemandem, um danach von ihm etwas zu bekommen oder um dich selbst mit den Federn der guten Tat zu schmücken.
Diese Handlung entspringt einem eigenen Mangel, einem nicht integrierten Anteil unseres Selbst, der sich insgeheim schämt oder ablehnt und der Meinung ist, er müsse sich größer machen, um Anerkennung (Energie von Außen) zu bekommen.
Jemandem zu helfen, ohne dafür gesehen zu werden oder eine Gegenleistung bekommen zu wollen, wäre hingegen ein Beispiel für eine integre Absicht. Du hilfst, weil du helfen möchtest.
Klare Absichten können wir nur haben, wenn wir uns und alle Anteile, die in uns sind, wirklich kennen und wenn wir lernen, radikal ehrlich mit uns selbst zu sein. Denn auch nur dann können wir ehrlich mit anderen sein.
Eine Hilfe beim Erkennen, wie integer wir eigentlich sind, kann sein, abzugleichen, wie wir sind, was wir denken, fühlen und tun, wenn es niemand sieht. Wenn nur wir unsere Zeugen sind. Helfe ich auch, wenn niemand hinsieht? Denke ich auch liebevoll über meine Freunde und Familie, wenn sie nicht da sind? Wie passt das, was ich im Job tue, mit meinen Überzeugungen zusammen? Wie sehr gleichen sich meine Aussagen über meine Überzeugungen und Moralvorstellungen mit meinem eigenen Verhalten?
Wo lebe ich vielleicht noch eine gewisse Doppelmoral? Ist mein «Internet-Ich» so friedvoll, wie mein Ich im echten Leben? Oder auch umgekehrt?
In welchen Situationen schmücke ich mich, um besser dazustehen? Das heißt: Wo und bei wem fürchte ich, für mich selbst abgelehnt zu werden? Wie frei bin ich innerlich – und somit äußerlich – derzeit wirklich? Und wie viel Angst ist noch da, die mich lenkt? Was lehne ich noch in mir ab, was darf noch nicht sein?
Gunnar hat uns ein ganz wundervolles Zitat hinterlassen, dass ich an dieser Stelle gerne erneut mit euch teilen möchte:
«Am Ende des Lebens geht es nicht darum, wie gut du die Regeln eingehalten hast und wie viele Gesetze du befolgt hast, sondern ob du der geworden bist, der in dir angelegt ist.»
– Gunnar Kaiser
Dan Millman benutzt ähnliche Worte, indem er die weise Frau sagen lässt: «Wenn du stirbst, lieber Wanderer, wird dich am Himmelstor niemand fragen, ob du ein Heiliger warst. Man wird dich fragen, ob du wirklich du selbst gewesen bist.»
Alles ist verbunden
Je mehr wir es schaffen, uns selbst zu leben, desto mehr sind wir automatisch auch ein Beispiel für andere. Unsere Ängste und Erwartungen abzulegen und integriert zu sein, wirkt sich auf unser Umfeld aus, weil es sich auf unsere Schwingung auswirkt. Mit unserer Essenz im Kontakt zu sein öffnet zudem Kanäle, auch mit der Natur und allen anderen Wesen in Harmonie zu schwingen. Nur im integrierten Zustand können wir unseren Platz im Gesamten einnehmen und fühlen uns allem, was einfach ist, wie zum Beispiel die Wälder, die Flüsse, die Tiere, auf der Ebene des Seins zugehörig.
Solange wir in der Trennung und der Angst sind, beziehungsweise solange wir diese verdrängen, handeln wir aus unbewussten und auch ausbeuterischen Motiven heraus, da wir mit uns und dadurch der Welt im Konflikt stehen. Und auch dies hat Auswirkungen auf uns selbst. Alles schwingt, alles ist in Verbindung und jede Absicht beziehungsweise jede Handlung kommt irgendwann wieder zurück. So wird die Hilfe, die im obigen Beispiel uneigennützig geschieht, sich auch auf den Helfenden selbst auswirken ebenso wie unsere Unehrlichkeit oder unser Konkurrenzverhalten. Angst hält fest und blockiert den Energiefluss, somit auch die spürbare Verbundenheit zu allem anderen, sowohl im Geben wie im Nehmen. Integrität bedeutet aber nicht zwingend, dass wir keine Angst spüren, sondern wie oben beschrieben, dass wir sie – beziehungsweise uns – kennen und dennoch aus dem Herzen heraus handeln.
Als der Wanderer einwendet, dass ihm das Unterfangen mit der Integrität doch etwas schwieriger erscheint, als anfänglich gedacht, antwortet die weise Frau:
«Alles ist so lange schwierig, bis es einfach ist. […] Es erfordert viel Mut und Offenheit, eine solche Echtheit zu erlangen, daß man zu sich selbst und der Welt sagen kann: ‹So bin ich, ob es euch nun passt oder nicht›, und diese Wahrheit dann auch wirklich lebt. Doch sobald du deine Menschlichkeit akzeptierst, wird Integrität kein Problem mehr für dich sein. Dabei geht es nicht um Vollkommenheit oder Unfehlbarkeit, denn wir alle machen Fehler. Wir können nur unser Bestes tun und aus unseren Irrtümern lernen, um es beim nächsten Mal besser zu machen. Wenn wir nach dem Gesetz der Integrität leben, stehen wir zu unseren Schwächen und nutzen unsere Stärken. Damit können wir zu Vorbildern werden, die anderen Menschen den Weg erleuchten.»
Den Mut zu finden und diese Echtheit zu erlangen, ist also nicht nur ein Gewinn für uns selbst, sondern auch für andere. Viel mehr als über Worte lernen wir durch unser Handeln, weil nur im Tun wirkliche Erfahrung und daher Weisheit erlangt werden kann. Zudem lernen wir am meisten, wie bereits in unserer Kindheit, durch das Nachahmen anderer, auch, wenn uns dies oft nicht bewusst ist. Daher kann ein in Liebe integrierter Mensch auch tatsächlich als Vorbild dienen. Er ist in seiner Schwingung so stark geworden, dass er sicht- und spürbar geworden ist und direkt mit der Herzensebene anderer in Verbindung tritt. Auch wenn es dem anderen vielleicht nicht bewusst ist, so reagiert doch etwas in ihm – und zwar seine eigene wahrhafte Ebene – die diese Reinheit als beispielhaft und lohnenswert zu erreichen empfindet.
Worte und Handlungen, die echt sind, haben eine viel stärkere, auch heilende Wirkung, als teil- oder unauthentisches Verhalten, bei denen selbstverständlich stets die verdrängten Sub-Ebenen der Angst und Manipulation mitschwingen.
Integrität ist tatsächlich, wie die weise Frau sagt, nur so lange schwer, bis es einfach ist. Auf den ersten Blick mag es den Anschein erwecken, dass es sehr anstrengend ist. Begriffe, wie Ehrlichkeit, reine Motive und Verantwortung sowie der Gedanke, sich seinen Ängsten zu stellen, mögen einen vielleicht zunächst abschrecken. Anfangs scheint es chaotisch, sich zwischen all den inneren Impulsen zurecht zu finden, doch mit der Zeit entsteht eine ungemeine Klarheit und es braucht kein großes Abwägen mehr, denn je öfter wir den Weg des Herzens einschlagen, desto deutlicher werden seine Zeichen und Impulse.
Einige der größten Gewinne sind neben der stetig wachsenden Klarheit der Spaß am Leben, die Sinnhaftigkeit, die sich entwickelt – und hiermit meine ich entwickeln im wahrsten Sinne des Wortes, dass die Sinnhaftigkeit sich zu erkennen gibt –, die Liebe, die wir selbst erfahren, wenn wir uns mehr und mehr annehmen sowie die Freiheit und Leichtigkeit im eigenen Sein.
Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Einblick in «Die Sache mit der Integrität» geben. Falls dich die Themen Integration und Selbstannahme interessieren, du dich bereits auf deinem Weg befindest oder nicht weißt, wo du anfangen sollst, schau gern auch in meine anderen Beiträge hier bei Substack rein.
Alles Liebe, Anna
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"Integer zu sein heißt, mit seinem gesamten Wesen die eigene reine Wahrheit zu repräsentieren."
Danke, ich liebe diesen Begriff der Integrität, da er für mich seit Jahren bereits noch höher steht als Wahrhaftigkeit. Schön, hier auch mit Zitaten darüber zu lesen.